Die Stuttgarter Zeitung hat sie am Samstag auf der Titelseite zitiert. Tausende Menschen auf dem Stuttgarter Rathausplatz oder vor den TV-Geräten haben sie ebenfalls gehört – Geißlers rhetorische Frage: „Wollt ihr den totalen Krieg?“. Ein Fehler in Ausdruck und Angemessenheit, der einem Mann in seiner Position und mit seiner Historie nicht passieren darf. Geißler formuliert hier eines der bekanntesten Zitate aus der Nazi-Zeit. Es ist ein Ausruf von Propagandaminister Goebbels während seiner Rede im Sportpalast Berlin im Februar 1943.
Und die Frage ist: Was hat Geißler da geritten?

Seine Erklärung, er habe nicht gewusst, dass das ein Zitat von Joseph Goebbels sei und überhaupt hätte das keinerlei Konnotation (siehe Radiointerview) darf doch stark bezweifelt werden. Der 81jährige Geißler hat selbst den 2. Weltkrieg miterlebt. Er war jahrelang einer der deutschen Spitzenpolitiker – und da will er dieses Zitat nicht kennen?
Darüber hinaus findet man einen weiteren Hinweis, dass er dieses Zitat sehr wohl Eins zu Eins kennt, wenn man auf seine folgenden Sätze achtet.

Geißler baut das Zitat zu einer rhetorischen Figur aus, indem er:

1) eine Anapher formuliert.
2.) mit dem Wort „total“ in die repetitio geht.
3.) die Syntax als Parallelismus baut.

„Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr den totalen Sieg? Das kann man auch machen. Also wollt ihr die totale Konfrontation?“

Anapher: Sonderfall der repetitio, Wiederholung am Satz-/Versanfang
Repetitio: Wiederholung – hier eines semantisch wirkungsstarken Wortes
Parallelismus: syntaktisch paralleler Aufbau von (Teil-)Sätzen

Was kann man aus so einer komplex-konstruierten rhetorischen Figur schließen?

Geißler muss das Zitat wortwörtlich gekannt und nicht frei formuliert haben. Er wiederholt gezielt das Adjektiv „total“ in allen drei Fragen. Genau das Wort, welches die Wirkungsmacht der Kaskade und des Ursprungszitates ausmacht. Er baut die Syntax des zweiten Satzes gekonnt als Parallelismus auf. Den zweiten Satz „Wollt ihr den totalen Sieg?“ als Parallelismus zu formulieren, setzt extrem schnelles Sprechdenken voraus, und  – v.a. in dieser Stresssituation vor Kameras und Publikum – ein schnelles Zugreifen auf die Syntax des Ausgangssatzes. Das wiederum ist jedoch ohne Rückgriff auf einen „fertig“ abgespeicherten Satz, v.a. in einer solchen Stresssituation, nahezu ausgeschlossen. So baut Geißler mit den ersten beiden Sätzen eine Anapher – Ausgangspunkt ist das Zitat von Goebbels.Das ein Politiker seines Formates, in seinem Alter, der den Krieg selbst erlebt hat, ausgerechnet nicht weiß, von wem dieses stammt – eigentlich unvorstellbar.

Doch Geißler ist nicht der einzige, der offensichtlich gerne und unsensibel mit der Verbalaxt hantiert. Wir erinnern uns da nur an Angela Merkels Zitat zur Tötung von Osama bin Laden:

„Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten. Ich glaube, dass es vor allen Dingen für die Menschen in Amerika, aber auch für uns in Deutschland eine Nachricht ist, dass einer der Köpfe des internationalen Terrorismus, der so viele Menschen schon das Leben gekostet hat, gefasst beziehungsweise getötet wurde und damit auch nicht mehr weiter tätig sein kann. Das ist das, was jetzt für mich zählt. Deshalb habe ich meinen Respekt für dieses Gelingen auch dem amerikanischen Präsidenten mitgeteilt, und das war mir auch ein Bedürfnis.“

Wir alle machen Fehler in unserer Kommunikation. Es gibt jedoch Aussagen, die sind tabu – da gibt es dann auch nichts abzustreiten oder gar zur Medienschelte auszuholen. Ein ehrliches Eingeständnis mit einer kurzen Erklärung und Entschuldigung für die verbale Entgleisung würde jedoch weiterhelfen.

Eines zeigen solche Fälle jedoch immer wieder. Fachliche, ja intellektuelle Stärke, ist bei Weitem noch kein Garant für kommunikative Stärke.
Gerade Politiker, ja Führungkräfte und Funktionsträger aller Art, sind auf Ihr gutes Image angewiesen, um Ihre Ziele überzeugend zu erreichen – und dieses Image wird hauptsächlich über Ihr rhetorisches Auftreten gebildett. Oder innerhalb von Sekunden eingerissen.

Ein Artikel in der Süddeutsche Zeitung hierzu.
Geißler bezieht Stellung im Radiointerview mit Deutschlandradio: Hörfunk-Interview