Die Rede des Jahres 2015 | das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen hat gewählt

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/4f/J%C3%BCrgen_Kaube.jpg/220px-J%C3%BCrgen_Kaube.jpgDie Auszeichnung der Rede des Jahres, die alljährlich vom Seminar für Allgemeine Rhetorik in Tübingen vergeben wird, ging im vergangenen Jahr erstmalig an zwei Reden gleichzeitig. Sowohl an die Georg-Büchner-Preis-Rede des Schriftstellers Rainald Goetz, als auch an die dazugehörige Laudatio des FAZ-Mitherausgebers Jürgen Kaube. Gleich zu Anfang seiner Rede zitiert er mit den Worten „Lob ist schlecht“ den diesjährigen Gewinner des Georg-Büchner-Preises. Paradoxerweise jedoch ist genau das sein Redeziel (telos): Eine Lobesrede für Rainald Goetz. Anfangs spricht Jürgen Kaube von dem Vorwurf der mannigfaltigen Erfindungen in der Literatur, die ihr den Bezug zur Realität und die Möglichkeit des Belehrens nähmen. Er weist darauf hin, dass schon Platon den Dichtern Zeit seines Lebens vorgeworfen habe, dass diese in ihren Werken lügen würden, statt sich an der Realität zu orientieren. Dann wendet Jürgen Kaube sich an den Empfänger seiner Laudatio. Dieser scheine den Vorwurf bezüglich der farbenfrohen Erfindungen in der Literatur ernst zu nehmen: Er entnähme die Inhalte seiner Veröffentlichungen fast ausschließlich realen Ereignissen und Erlebnissen seines eigenen Lebens. Sein Werk sei eine Polemik gegen die Illusion und Fiktion der Literatur, lobt der Redner. Im Folgenden der Laudatio werden die Zuhörer bildhaft durch das Werk des Autors und dessen unterschiedliche Erzählstile geführt.

Als roter Faden zieht sich das Thema der Illusion in der Literatur durch diese Laudatio. Um die notwendige Nähe zum Erzählgegenstand zu erlangen zitiert der Redner den Gelobten – teilweise sogar durch hochachtungsvolle Erwähnungen bereichert, die auf das literarischen Geschick des Angesprochenen hinweisen, beispielweise auf die Aneinanderreihung von fünf Genitiven. Es ist nicht allein die Ratio & Vernunft (logos) des Redners selbst, der diese Rede ihre Überzeugungskraft zu verdanken hat: Auch das logos des Gelobten spielt eine große Rolle. Dessen Liebe zur Sprache und zu den Worten selbst, die bei ihm in stetiger Dynamik und Unruhe stehen, ist nach einiger Zeit für jeden Zuhörer dieser Laudatio offensichtlich. Eloquent erläutert der Orator die Schreibweise des Autors und lenkt die Aufmerksamkeit der Zuhörer immer wieder geschickt durch rhetorische Fragen auf sich. Trotz der zu Anfang angeführten Zweifel am Loben „gelingt Kaube ein Lob, das kraftvoll ist, ohne den Lobenden oder den Gelobten in diesem Sinne zu düpieren, indem er über die Gattung Festrede nachdenkt und zeigt, welch hohe Bedeutung Rede und Gegenrede in der Welt von Rainald Goetz haben“ schreibt das Seminar für Allgemeine Rhetorik dazu.

Die Rede des Gelobten, die er auf Grund des Erhalts des Georg-Büchner-Preises hielt, ist, wie auch der Redner selbst, kritisch, dynamisch und unruhig. Sie wirft die Fragen auf, wie Literatur in der heutigen Zeit aussehen soll, was es bedeutet ein Schriftsteller zu sein und was es mit Kulturpreisen auf sich hat. „Wie wollen wir leben?“, fragt Rainald Goetz nach einer kurzen Einleitung seine Zuhörer. Er thematisiert das Verhältnis zwischen Jugend und Gesellschaft und spricht vom Ruin des Ichs. Laut dem Orator verbreite sich eine gigantische Kaputtheit unter den Menschen, auf welche die Kunst, und damit auch die Literatur, reagiere. In diesem Zuge äußert er leichte Kritik an der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung: „Sie vergesellschaftet die individuelle Kaputtheit, das Ressentiment, die reaktionären Tendenzen im Schriftsteller“. Die Literatur nähme ihre Qualität aus der Langsamkeit: „Sie stellt sich der Welt, aber langsam“, sagt Rainald Goetz. Die Sprache und der Text sind für ihn essenziell. Erst der Text erfasse wer man ist. Schreiben, um Geistesgegenwart der Schrift zu sein, das ist es, was man als Schriftsteller immer wieder erführe.

Diese Geistesgegenwart der Schrift ist auch dann noch zu spüren, wenn Rainald Goetz seine Rede hält. Unter anderem durch seine Wortwahl und darstellende Klarheit zieht er die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer auf sich. „Seine Ausführungen faszinieren von Beginn an durch eine verknappte, antithetische Sprache der Übersteigerung und ihre gedankliche Originalität“ schreibt das Seminar für Allgemeine Rhetorik dazu.

Beide Reden des Jahres 2015 setzten sich von denen weiteren Reden, die in diesem Jahre gehalten wurden, ab, denn es war von Trauerreden und Krisenrhetorik durchzogen. Die Reden von Kaube und Goetz stellen sich diesen düsteren Themen gegenüber und schenken der Jugend, der Sprache und der Literatur ihre Aufmerksamkeit.

Hier finden Sie die Rede als Audio: 

http://www.ardmediathek.de/radio/Kulturfragen-Deutschlandfunk/Büchner-Preis-2015-Dankesrede-von-Rain/Deutschlandfunk/Audio-Podcast?documentId=31403908&bcastId=21676454

Quellen: v.a.

http://www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/georg-buechner-preis/rainald-goetz/dankrede

http://www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/georg-buechner-preis/rainald-goetz/laudatio

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